"Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei aus der Sicht der türkischen und deutschen Gesellschaften"

Anlässlich der Veranstaltung von UETD und dem TDZ am Freitag, 16.03.2007 im Türkischen Haus, Berlin.

Sehr geehrter Herr Minister Murat Başesgioğlu, Sehr geehrter Herr Salih Kılıç, Vorsitzender der Gewerkschaftskonföderation Türk-İş, Sehr geehrter Herr Salim Uslu, Vorsitzender der Gewerkschaftskonfederation Hak-İş, Sehr geehrter Herr Musa Çam, Generalsekretär der Gewerkschaftskonföderation DİSK, Sehr geehrter Herr Dr. Wolfgang Lutterbach, Leiter des Bereichs Internationale Gewerkschaftspolitik beim DGB – Bundesvorstand,

Bei der heutigen Veranstaltung habe ich die Ehre, die Veranstaltung zu moderieren und mich zu dem Thema zu äußern.

Die Entwicklung vor allem des letzten Jahrzehnts ist sehr stark geprägt von dem Begriff Globalisierung. Unter diesem Begriff verbirgt sich die Strategie der Großkonzerne, ihre Maximalinteressen und Forderungen überall in der Welt durchzusetzen. Die anhaltende hohe und chronische Arbeitslosigkeit in fast allen EU-Staaten wird für die Umsetzung dieser Strategie tag täglich instrumentalisiert.

  • So wird die bis dahin gesetzlich vorgesehene Wochenarbeitszeit in Deutschland von 38,5 Stunden ohne Lohnausgleich auf 40 Stunden erhöht.
  • Die Beschäftigten werden gedrängt, auf bestimmte bereits vorhandene Leistungen und Lohnerhöhungen verzichten.
  • So haben wir in den letzten 10 Jahren in Deutschland eine reale Minuslohnentwicklung.
  • Zugleich wird auf die Politik massiver Druck ausgeübt, dass der Sozialstaat, als die größte Errungenschaft der westlichen Zivilisation und als Ergebnis der Arbeiterbewegungen weltweit, nicht mehr aufrechterhalten werden könne.
  • Infolge dieses Druckes werden auch soziale Rechte und soziale Sicherungssysteme schrittweise ausgehoben.
  • Bereits vorige Woche wurde das Rentenalter von 65 auf 67 erhöht.
  • Diese Beispiele könnten weiter aufgezählt werden.

Bei dieser Strategie werden die Gewerkschaften dadurch erpresst, dass durch die Verlagerung der Fabriken in Billiglohnländer die Arbeitsplätze hier in Deutschland verloren gehen müssen, wenn die Forderungen der Unternehmer nicht akzeptiert würden.

Gerade in einer solchen Epoche haben die Gewerkschaften als Interessenverbände der Beschäftigten eine besondere Verantwortung. Sie müssen einerseits gegen diesen massiven Druck der Großunternehmen soweit sie können die berechtigten Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Sie müssen aber auch zugleich die Interessen der Arbeitnehmer auch gegen die Politik verteidigen, die sich immer mehr der Forderungen der Konzerne beugt, ja sogar nicht selten diese Forderungen sich zu Eigen macht.

Zu dieser Strategie gehört auch die unnachgiebige Haltung der Wirtschaftsakteure in allen Bereichen der Gesellschaft, die Privatisierung und Liberalisierung durchzusetzen: von der Gas-, Strom- und Wasserversorgung bis in die Bereiche Gesundheit und Bildung.

Es gehört auch zu dieser neuerlichen Strategie der Konzerne und ihrer politischen Vertreter im Rahmen der EU-Erweiterung mit Lohn- und Sozialdumping in den alten EU-Staaten die sozialen Standards nach unten zu ziehen.

Selbstverständlich müssen wir ganz entschieden gegen diese Strategie vorgehen und die bereits vorhandenen sozialen und ökonomischen Standards verteidigen und ausbauen.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei haben eine besondere Beziehung. Die Tatsache, dass in der Bundesrepublik Deutschland knapp drei Millionen türkischstämmige Menschen seit Jahrzehnten leben und arbeiten macht diese besondere Beziehung aus.

Hierzu gehört auch, dass hunderttausende türkischstämmige Arbeitnehmer in den deutschen Gewerkschaften Mitglied sind. Eine Vielzahl von türkischen Staatsangehörigen arbeitet aktiv in den Betriebsräten mit.

Zum Schluss möchte ich einige Bemerkungen zu den EU- Türkei Beziehungen als Mitglied des EU-Ausschusses im Deutschen Bundestag, sowie in meiner Funktion als EU-Erweiterungsbeauftragter meiner Fraktion machen.

Im EU-Beitrittsprozess der Türkei wurde und wird die Türkei nicht gleich behandelt. Zu Unrecht wird sie mit Forderungen konfrontiert, die nicht zu den Beitrittsverhandlungen hätten gehören dürfen und heute ein großes Erschwernis in diesen Beziehungen darstellen.

Ein geteiltes Land Zypern hätte auf keinen Fall in die EU aufgenommen werden dürfen. Dies widerspricht auch gegen die Grundsätze der EU. Zu dieser Ungleichbehandlung gehört vor allem auch, dass ein besonderes Kriterium vorgesehen ist. Die Türkei könnte eventuell selbst dann nicht aufgenommen werden, auch wenn sie alle Beitrittskriterien erfüllen würde. Hier wird die Aufnahmefähigkeit der EU als neues Kriterium eingeführt. In Frankreich und Österreich soll sogar über den Beitritt der Türkei über Referenden entschieden werden. Im Gegensatz zu allen anderen aufgenommenen Staaten wird der Türkei kein Beitrittsdatum genannt.