in der 199. Sitzung des Bundestages
Frage 17
Welche Anstrengungen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um die in vier Beschlüssen des Europarates vom Juni 2008 (Resolutionen 1617 (2008) und 1618 (2008) und Empfehlungen 1839 (2008) und 1840 (2008)) geforderte Stärkung der Partizipationsrechte der Einwanderinnen und Einwanderer in den Mitgliedstaaten, darunter der Bundesrepublik Deutschland, umzusetzen?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, ich darf darauf verweisen, dass Ihre Frage mit der Kleinen Anfrage .Umsetzung der Empfehlungen des Europarats zur Verbesserung der demokratischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten., die Sie und Ihre Fraktion gestellt haben, inhaltlich identisch ist. Diese hat mein Kollege, Staatssekretär Hanning, mit Schreiben vom 7. Januar dieses Jahres beantwortet. Deshalb darf ich darauf verweisen. Ich möchte ergänzend sagen, dass die Bundesregierung die Entschließungen und Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats selbstverständlich zur Kenntnis nimmt. Das ist auch in diesem Fall geschehen. Aus Sicht der Bundesregierung gibt es allerdings keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, jedenfalls nicht auf Bundesebene. Sie wissen, dass nach dem geltenden Bundesrecht sowohl die Versammlungsfreiheit als auch die Vereinigungsfreiheit und die Mitwirkung in politischen Parteien als zentrale Rechte auf Teilhabe an der politischen Willensbildung auch für Migrantinnen und Migranten gewährleistet sind. Hinsichtlich des Versammlungsrechtes wissen Sie wahrscheinlich auch, dass die bisher dafür bestehende Bundeszust ändigkeit im Zuge der Föderalismusreform vom 28. August 2006 weggefallen und an die Länder übergegangen ist.
Im Hinblick auf die Frage der Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nichtunionsbürger darf ich darauf hinweisen, dass diese Frage Gegenstand parlamentarischer Beratungen ist, und es entspricht dem Respekt, den die Bundesregierung vor dem Parlament hat, dass wir das Ergebnis dieser Beratungen zunächst einmal abwarten. Zum Schluss darf ich darauf hinweisen, dass wir in Deutschland in den letzten drei Jahren sehr daran gearbeitet haben, die Integrationskurse flächendeckend anzubieten und durchzuführen, um damit Grundlagen für die demokratische Partizipation von Zuwanderern zu schaffen. Das bezieht sich insbesondere auf die Vermittlung der deutschen Sprache, aber auch auf die 45-stündigen Orientierungskurse, in denen Kenntnisse zu Staat, Geschichte und Gesellschaftsordnung in Deutschland vermittelt werden. Diese Kurse erleichtern das Zurechtfinden in der neuen Gesellschaft. Sie schaffen Identifikation und Teilhabemöglichkeiten und sind aus unserer Sicht im Sinne der Empfehlungen des Europarates.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte, Herr Kollege.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. . Herr Staatssekretär Altmaier, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Ich möchte unterstreichen, dass im Europarat in zwei Aussch üssen und im Plenum sehr ausgiebig über die Demokratiedefizite in den Mitgliedstaaten debattiert wurde. Es wurde festgestellt, dass in einigen der Mitgliedstaaten in der Tat erhebliche Demokratiedefizite bestehen. In der Bundesrepublik Deutschland leben, wie Sie wissen, immer noch 7 Millionen Menschen ohne einen deutschen Pass, das heißt als Ausländer. Das bedeutet, dass sie, wenn sie nicht aus einem EU-Staat kommen, nicht einmal das kommunale Wahlrecht ausüben können. Staatsbürgerliche Rechte haben sie also nicht. Daher wurde diesen Mitgliedstaaten vom Europarat nahegelegt, dass sie ebendiese Defizite beheben, indem sie die Einbürgerung erleichtern und es unter anderem tolerieren, dass diese Menschen unter Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes erwerben können. Was gedenken Sie in dieser Hinsicht zu tun?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, weil Sie sich intensiv mit Fragen der Integration und der Partizipation beschäftigen, wissen Sie selbst, dass das System des Staatsangehörigkeitsrechts der Bundesrepublik Deutschland eines der fortschrittlichsten und modernsten nicht nur der westlichen Welt, sondern überhaupt ist. Wir in Deutschland haben als eines der wenigen Länder weltweit einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung, wenn der betreffende Ausländer bzw. Mitbürger eine bestimmte Zeit lang in Deutschland gelebt hat. Wir haben vor einigen Jahren das Staatsangehörigkeitsrecht dahin gehend modifiziert, dass junge Menschen nicht deutscher Herkunft, die hier in Deutschland geboren werden, unter bestimmten Voraussetzungen mit der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bis zum Erwachsenenalter erwerben. Erst dann müssen sie sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Im Übrigen . das wird durch die Zahlen der Einbürgerungsbehörde deutlich, ist es aufgrund der Lage in den Herkunftsländern vieler Migrantinnen und Migranten so, dass wir in einer erheblichen Zahl von Fällen . das geht bisweilen bis an die 50 Prozent, bei der Einbürgerung die doppelte Staatsangehörigkeit hinnehmen. Das heißt, Deutschland ist ein Land mit starkem Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Deutschland ist ein Land, bei dem die Angehörigen der dritten Generation jedenfalls überwiegend die Chance haben, in die deutsche Staatsangehörigkeit hineinzuwachsen. Wir erleichtern die Einbürgerung auch denjenigen Migrantinnen und Migranten, denen die Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit nicht zumutbar ist. Dies alles zusammengenommen führt dazu, dass es in Deutschland vergleichsweise leicht ist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Darüber hinaus ist es so, dass auch derjenige, der sich dafür entscheidet, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, gleichwohl wichtige Partizipationsmöglichkeiten hat. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die politischen Parteien in aller Regel auch nicht deutsche Staatsbürger als Mitglieder akzeptieren. Ich habe ferner darauf hingewiesen, dass Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit selbstverständlich auch für Nichtdeutsche gelten, die sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhalten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Lieber Herr Staatssekretär, wenn die Aussage zutreffen würde, dass es in Deutschland leicht ist, sich einbürgern zu lassen, dann können Sie mir vielleicht erklären, wie es dazu kommt, dass gerade nach dem Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts die Einbürgerungszahlen ganz erheblich zurückgegangen sind und sich fast halbiert haben. Mit anderen Worten: Gerade das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat in bestimmten Bereichen, insbesondere für die erste und möglicherweise auch für die zweite Generation, erhebliche Erschwernisse mit sich gebracht. Hinzu kommt noch etwas: Das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger existiert, wie Sie wissen, lieber Herr Altmaier, seit den 70er-Jahren in vielen Nachbarstaaten, etwa Schweden, Dänemark, Holland, Großbritannien und auch Frankreich. In Deutschland gilt das kommunale Wahlrecht nur für EU-Staatsbürger, nicht für Menschen aus Nicht-EU-Staaten. Auch da ist Handlungsbedarf gegeben.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, wenn Sie die Situation in den einzelnen europäischen Staaten vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass in vielen Ländern, in denen es ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger gibt, die Einbürgerung schwieriger als in der Bundesrepublik Deutschland ist, dass es dort jedenfalls nicht die Elemente des Jus Soli gibt, von denen ich vorhin gesprochen habe und die dazu führen, dass Zehntausende von jungen Menschen mit der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an aufwachsen können. Die sinkende Zahl von Einbürgerungsanträgen und Einbürgerungszahlen erklärt sich dadurch, dass diese Zahlen naturgemäß im Laufe der Zeit schwanken. Ich will aber ausdrücklich darauf hinweisen: Viele Migrantinnen und Migranten haben die Möglichkeit und das Recht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Allerdings gibt es keine Pflicht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Es ist den Betroffenen freigestellt, ob sie dies tun. Gleichwohl freuen wir uns über jeden, der sagt: Ich möchte gerne dazugehören und mich einbürgern lassen. Wir bemühen uns, den Betroffenen diese Entscheidung so einfach wie möglich zu machen. Vor einiger Zeit haben wir einen neuen Einbürgerungstest eingeführt, der bundesweit Gültigkeit hat. Im Vorfeld ist daran viel Kritik geübt worden. Es hieß, er sei zu schwer, und die Fragen seien abschreckend. Inzwischen liegen uns die ersten Testergebnisse vor. Weit über 90 Prozent aller Teilnehmer, fast 100 Prozent von ihnen, haben den Einbürgerungstest bestanden. Auch daran wird deutlich, dass die Hürden bei der Einbürgerung in Deutschland durchaus zu überwinden sind.
Frage 18
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass eine eigens eingerichtete Monitoring-kommission die Umsetzung der diesbezüglichen Europaratsbeschlüsse in Deutschland überprüft?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, ich muss Sie auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage verweisen, in der wir dazu bereits Stellung genommen haben. Im Übrigen ist der Bundesregierung nicht bekannt, dass der Europarat eigens eine Monitoringkommission eingerichtet habe, die die Umsetzung der Empfehlungen 1839 und 1840 (2008) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates überprüfen solle. Die Bundesregierung nimmt die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates auch im Hinblick auf die in Empfehlung 1840 (2008) Nr. 4 angesprochenen Monitoringmissionen zur Kenntnis. Sie verweist insoweit auf die Einladung an die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI, in Nr. 4.7 der Empfehlung 1840 (2008) und auf die Ende 2008 in Deutschland durchgeführte ECRI-Monitoringmission.
Den Dopplungen und inhaltlichen Überschneidungen, welche die empfohlenen zusätzlichen Monitoringmissionen mit sich brächten, steht die Bundesregierung skeptisch gegenüber. Ich kann Ihnen aber sagen, dass die Ende 2008 in Deutschland durchgeführte ECRI-Monitoringmission sehr erfolgreich verlaufen ist. Davon habe ich mich selbst überzeugen können.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, die Bundesrepublik Deutschland ist ein sehr interessiertes, engagiertes und sogar einflussreiches Mitgliedsland des Europarates und achtet darauf, dass die in anderen Mitgliedstaaten vorhandenen Defizite im Bereich der Demokratie, der Menschenrechte und der Minderheitenrechte beseitigt werden. Diesbezüglich gibt es Monitoringkommissionen. Ich bin Mitglied einer solchen Kommission. In diesem Falle aber nicht für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für die anderen Länder. Wenn die Forderungen des Europarates in Bezug auf die vorhandenen Demokratiedefizite, worüber wir gerade gesprochen haben, nicht erfüllt werden, dann muss man kontrollieren, beobachten und feststellen: Wir haben beobachtet, dass in Deutschland immer noch soundsoviele Millionen Menschen keinerlei politische Rechte haben. Sie nennen die Versammlungsfreiheit. Ich bitte Sie! Das ist ein Grundrecht, das jedem Menschen zusteht. Wir reden hier von staatsbürgerlichen, politischen Rechten, also vom aktiven und passiven Wahlrecht etc.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, das war mehr ein Statement als eine Frage, aber ich kann Ihnen noch einmal versichern, dass die Bundesrepublik Deutschland zu denjenigen Ländern gehört, in denen die politischen Partizipationsmöglichkeiten auch für Migrantinnen und Migranten besonders entwickelt und ausgeprägt sind. Sie nehmen eine, wie ich meine, unzulässige Verkürzung dieser Frage vor, indem Sie sich allein auf das kommunale Wahlrecht beziehen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass bei diesem Punkt auch verfassungsrechtliche Fragestellungen zu berücksichtigen sind und dass die große Mehrheit der Mitgliedstaaten des Europarates dieses kommunale Wahlrecht nicht gewährt. Die Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Frage also keinesfalls alleine.
Deshalb sage ich abschließend noch einmal, dass man das Problem der partizipativen Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten auf unterschiedlichem Wege lösen kann. Die Gewährung eines kommunalen Wahlrechts kann eine Möglichkeit sein. Es gibt Staaten, die sich dafür entschieden haben. Es kann aber auch eine sinnvolle Möglichkeit sein, die Einbürgerung und damit die Erlangung des vollen Status eines Staatsbürgers zu erleichtern. Das ist ein Weg, den wir in Deutschland in den letzten Jahren mit bemerkenswerten und auch international anerkannten Erfolgen zurückgelegt haben.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Keskin.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):
Danke, Frau Präsidentin. . Lieber Herr Altmaier, nehmen wir einmal an, dass bei der Überprüfung der Monitoringkommission festgestellt wird, dass es auch hier in Deutschland in der Tat, wie ich meine und wie das durch die Fakten auch belegt wird, Demokratiedefizite im Bereich der politischen Partizipation usw. gibt. Was würde die Bundesregierung dann tun? Würde die Bundesregierung diese Defizite dann tatsächlich wohlwollend überprüfen und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um diese Defizite zu beheben?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Keskin, Sie stimmen doch wahrscheinlich mit mir überein, dass es sich auch aufgrund des Respekts, den wir dem Europarat und seinen Monitoringkommissionen schulden, verbietet, den Empfehlungen und Ergebnissen dieser Kommissionen vorzugreifen. Deshalb schlage ich vor, dass wir getrost und ruhig abwarten, was die Monitoringkommissionen letzten Endes empfehlen werden, und dass wir uns anschließend in der gebotenen seriösen und unaufgeregten Weise mit diesen Empfehlungen auseinandersetzen.