Weil dem Bundeskanzler Sachargumente fehlen, schürt er Ängste vor den Türken

Es ist mehr als peinlich, wenn Bundeskanzler Kohl ohne Hemmungen Ängste vor den Türken schürt, und zwar mit völlig falschen Angaben. Wer für die in Deutschland geborenen Kinder die doppelte Staatsbürgerschaft wolle, so der Bundeskanzler, der müsse auch wissen, was am Ende des Weges stehe. Statt drei Millionen würden vier bis sechs Millionen Türken nach Deutschland kommen.

In Deutschland leben zur Zeit nicht drei sondern knapp 2,2 Mio. Türken. Ob-wohl diese Tatsache Herrn Kohl bekannt sein dürfte, versucht er mit stark ü-berhöhten Zahlen der Bevölkerung Angst vor angeblicher Überfremdung zu schüren. Mehr noch: Er setzt noch eins drauf, indem er eine Zunahme der Tür-ken mit deren Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft in Verbin-dung bringt, so als beinhalte erst deren Hinnahme und der damit verbundene vermehrte Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft für Einwanderer das Recht auf Familiennachzug. Doch auch dies ist eine grobe Unwahrheit, denn nicht nur deutsche Staatsbür-ger, auch alle Nichtdeutschen mit gesichertem Aufenthaltsstatus haben ein Recht darauf, ihre Ehegatten nach Deutschland zu holen, wenn der Lebensun-terhalt gesichert und eine entsprechende Wohnungsgröße gegeben ist. Auch der Bundeskanzler dürfte wissen, daß Art. 6/1 Grundgesetz ‘Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz staatlicher Ordnung’ nicht nur für Deut-sche gelten. Herr Kohl verrät aber mit seiner Äußerung weit mehr: Er scheint nicht nur ge-gen die doppelte Staatsbürgerschaft vor allem für Türken zu sein, sondern auch gegen ihren Erwerb einer deutschen Staatsbürgerschaft überhaupt, denn zwischen dem alleinigen Erwerb der deutschen unter Verzicht auf die türkische oder einer doppelten Staatsbürgerschaft besteht beim Ehegattennachzug nicht der geringste Unterschied, die Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft hätte somit keinen Einfluß auf die Anzahl von Türken oder anderen Ausländern in Deutschland. Die gesamte Einwandererbevölkerung Deutschlands erwartet von der FDP, insbesondere auch von der Ausländerbeauftragten, Frau Schmalz-Jacobsen, endlich eine konsequente Durchsetzung liberaler Positionen in ihrer Politik, die den zahlreichen Erklärungen dieser Partei und nicht einer übertriebenen Rück-sichtnahme auf die Gefühlslage der rechtskonservativen Mehrheit in der Union geschuldet ist. Nur auf diese Weise wird es der liberalen Partei gelingen, das Vertrauen auch der Einwandererbevölkerung zu gewinnen. Diskutiert wurde lange genug, es ist jetzt an der Zeit zu handeln! Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat am 12. Mai 1997 in Bonn einen Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vorgelegt und die Fraktionen gebeten, diesen Entwurf als ‘interfraktionellen Antrag’ im Bundes-tag zu unterstützen. Bei einer Befreiung vom Fraktionszwang wäre dieser Ent-wurf, der auf einem entsprechenden Entwurf der Ausländerbeauftragten ba-siert, bei einer Abstimmung mit großer Wahrscheinlichkeit mehrheitsfähig. Seit nunmehr 17 Jahren wird über eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts von 1913 gestritten. Bei vielen unserer Nachbarstaaten ist die doppelte Staatsbürgerschaft eine gängige und bewährte Praxis. Auch Deutschland soll-te sich aus seiner Isolation in dieser Frage endlich befreien. Die Zeit ist reif für diese Entscheidung.

Prof. Dr. Hakký Keskin