Türkenproblem

Das vermeintliche Türkenproblem Deutschlands Gezielte Kampagne gegen Deutschlandtürken ist tief beunruhigend!

Wenn die hitzige Diskussion über multikulturelle Gesellschaft, Integration, Parallelgesell-schaften, deutsche Leitkultur etc. mit dem Ziel geführt würde, aus den Versäumnissen und Fehlern der letzten 50 Jahre Migrations- und Ausländerpolitik Deutschlands zu lernen und die in dieser Zeit versäumten aber immer noch dringend notwendigen Maßnahmen einzu-leiten, würden wir dies begrüßen.

Wenn aber diese Diskussion im Zuge der jüngsten Ereignisse in den Niederlanden und im Vorfeld des bevorstehenden Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU be-wusst eingesetzt wird, um eine positive Entscheidung über den Beginn von Beitrittsver-handlungen mit der Türkei am 17. Dezember dieses Jahres zu verhindern, so wäre dies eine Art neuer Kreuzzug gegen die Türkei und gegen die Deutschlandtürken.

Höchst auffällig ist nämlich, dass seit den Ereignissen in den Niederlanden eine gezielte Fokussierung der Diskussion auf die Deutschlandtürken als das vermeintliche Problem zu beobachten ist. Tatsache aber ist, dass es keinerlei Anlässe von Seiten der Deutschland-türken oder der türkischen Muslime für eine solche Kampagne gegeben hat. Im Gegenteil: Am 21. November 2004 fand in Köln eine vom größten islamischen Verband der Deutsch-landtürken, DITIP, initiierte und von der Türkischen Gemeinde und einigen anderen türki-schen Organisationen unterstützte Demonstration mit mehr als 25.000 Menschen – zu-meist Türken – gegen Gewalt und Terror und für ein friedliches Zusammenleben statt. Manche Medien scheuen sich nicht, selbst dieses Bekenntnis der Deutschlandtürken zum demokratischen Rechtsstaat Deutschland mit der Behauptung zu diskreditieren, die De-monstration sei von Ankara gesteuert gewesen. Selbst wenn dies auch dem Wusch der Regierung in Ankara entspräche, was wäre daran falsch und kritikwürdig?

Bis zum heutigen Tage ist von keiner türkischen Organisation, nicht einmal von denen, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als fundamentalistisch-islamische Organisationen eingestuft sind und unter dessen Beobachtung stehen, Terror oder Gewalt gegen die deutsche Bevölkerung oder gegen deutsche Einrichtungen ausgegangen. F 2 Tagtäglich wird in den Medien über das vermeintliche Türkenproblem Deutschlands debattiert, ohne sich dabei in der Regel des Sachverstandes der Verbände der Deutschlandtürken als Diskussionsteilnehmer zu bedienen. Die Diskussion über die die Türken findet in den namhaften Talkshows und Fernsehsendungen zumeist ohne Beteiligung der Deutschlandtürken statt, wie auch die bisherige Politik und Politikgestaltung. Dies können wir nicht akzeptieren. Es verhindert sachgerechte Diskussion und Austausch und führt letztendlich zum Rückzug selbst derjenigen, die sich seit Jahrzehnten für eine gleichberechtigte Integration konsequent einsetzen, wie die Türkische Gemeinde in Deutschland.

Altbundeskanzler Schmidt, Frau Merkel und vielen anderen aus CSU und CDU ist vehe-ment zu widersprechen: Kulturelle Vielfalt ist längst eine unumkehrbare Realität auch in Deutschland. Diejenigen, die dies leugnen, verneinen die Tatsache, dass Deutschland spätestens seit rund 50 Jahren ein Einwanderungsland ist. Genau dieses Leugnen einer längst vollzogenen Realität hat dazu geführt, dass die Integration in manchen Bereichen der Gesellschaft immer noch Lücken aufweist.

Gescheitert ist nicht die Konzeption einer multikulturellen Gesellschaft, sondern die fatale Politik all derjenigen, die diese Realität stets verneint haben und weiterhin verneinen und welche nicht bereit sind, die dieser Realität entsprechenden drin-gend erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

Altbundeskanzler Schmidts Behauptung, das Modell der multikulturellen Gesellschaft sei mit einer Demokratie schwer zu vereinbaren, widerspricht der Praxis in den USA, in Frank-reich, in Großbritannien, in Schweden, in der Schweiz, in den Niederlanden (trotz der jüngsten Geschehnisse!), in Deutschland, in der Türkei und in vielen anderen Ländern. Die meisten dieser Länder sind heute multikulturelle und das heißt aus vielen Ethnien, Religionen, Sprachen und Kulturen bestehende Gesellschaften.

In all diesen Ländern gibt es jedoch auch Schwierigkeiten beim Zusammenleben in dieser kulturellen Vielfalt. Nicht durch das Verleugnen dieser Tatsache können diese Probleme gelöst werden, sondern durch Zukunftsgerichtete und vernünftige Politik und Konzepte. Vor allem aber durch die Gewährung von Bürgerrechten, durch Gleichbehandlung, durch Partizipation, Mitwirkung und Mitgestaltung der kulturellen Minderheiten und auf keinen Fall durch deren Ignorierung oder Diskriminierung.

Alt Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner Regierungszeit die auch für heute gülti-gen und für die Integration unumgänglichen ganz konkreten Vorschläge seines Auslän-derbeauftragten Heinz Kühn, Ministerpräsident a.D., weitestgehend ignoriert. Wären diese Vorschläge Kühns, die im berühmten ‘Memorandum zur Integrationspolitik’ im Septem-ber 1979 erschienen, realisiert worden, wären wir heute ganz entscheidend weiter. Auch unsere wiederholten Vorschläge und Überlegungen für die Bereiche Bildung und Ausbil-dung, Kultur und Religion, kommunales Wahlrecht und erleichterte Einbürgerung, Wohn-verhältnisse und Wohnraumversorgung wurden von der Politik stets ignoriert. Diese fan-den zu unserem Bedauern auch bei den Medien leider nicht die notwendige Beachtung.

Prof. Dr. Hakkı Keskin Bundesvorsitzender