Die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zur Verbesserung der demokratischen Partizipation von Migrantinnen und Migranten
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Vertreter der Migrantenverbände,
lieber Kollege Greenway,
ich möchte Ihnen ganz herzlich danken für Ihren sehr guten Bericht zum Zustand der Demokratie in Europa – zu den Defiziten bei den politischen Partizipationsmöglichkeiten der Migrantinnen und Migranten in Europa. Neben vielen sehr richtigen Feststellungen in Ihrer Analyse und einer großen Zahl von Gemeinsamkeiten im Forderungsteil bin ich insbesondere auf die Forderungen in Punkt 9.2 der Beschlussfassung aufmerksam geworden.
Gefordert wird hier die Erleichterung der Annahme der jeweiligen Staatsbürgerschaft der Aufnahmeländer – etwa durch die Reduzierung der zeitlichen und finanziellen Anforderungen sowie durch Tolerierung der Maßnahmen der doppelten Staatbürgerschaft. Keine überflüssigen Hindernisse sollen in Zukunft den Erwerb der Staatsbürgerschaft für Migranten und der zweiten oder späteren Generationen verhindern.
Meine Damen und Herren, diese Forderungen werden von einem britischen Mitglied der konservativen Fraktion erhoben und ich kann nur sagen: Solche Konservativen würde ich mir auch nach Deutschland wünschen! Diese Forderungen der Migrantenverbände und der Linken finden in der Bundesrepublik leider seit Jahrzehnten kein Gehör!
Mein Land möchte ich hier als Beispiel geben; in Deutschland leben noch immer ca. 7 Millionen Menschen unter dem Sonderstatus eines ‘Ausländers’, obwohl sie zum Teil schon seit Jahrzehnten hier leben oder geboren worden sind. Noch heute besitzen viele ehemalige Arbeitsmigranten und deren Nachkommen nur eingeschränkte Bürgerrechte und dürfen ohne die deutsche Staatsbürgerschaft weder bei den kommunalen, noch bei den an Landtags- und Bundestagswahlen aktiv oder passiv teilnehmen. Sie werden somit systematisch von der politischen Partizipation ausgeschlossen! Dieser Zustand ist in demokratisch verfassten, von grenz-übergreifender Migration und kulturellem Austausch geprägten, Gesellschaften nicht zu akzeptieren!
Diese Art der dauerhaften Verweigerung voller staatsbürgerlicher Rechte für wesentliche Teile der Wohnbevölkerung verstößt gegen Grundlagen unserer Demokratie, gegen Menschenrechtsprinzipien und gegen fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats, denen sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben.
Darüber hinaus ist diese Verweigerung eines der entscheidensten Integrationshemmnisse: Wie soll sich das Gefühl ‘zu Hause zu sein’, ‘willkommen zu sein’ in der neuen Heimat einstellen, wenn man von grundlegendsten politischen Entscheidungen ausgeschlossen wird? Von Entscheidungen, die ganz konkret das Hier und Jetzt bestimmen und immensen Einfluss auf den Alltag haben? Es ist fakt; Die Beibehaltung des ‘Ausländerstatus’ verhindert die gleichberechtigte Aufnahme in der Gesellschaft!
Können wir von Menschen, die derart entmündigt werden, guten Gewissens erwarten, dass sie sich in die Gesellschaft integrieren und, sich ohne Wenn und Aber mit dieser Gesellschaft identifizieren können?
Die Staaten, die sich einerseits über negative Entwicklungen im Bereich der Politikverdrossenheit besorgt zeigen, verzichten gleichzeitg ganz bewusst auf die Stimmen eines Teils ihrer Wohnbevölkerung, indem sie den Migrantinnen und Migranten die politischen Partizipationsrechte verweigern. Eine Besserung wäre durch die anzustrebende Identität von Staatsvolk und Wohnbevölkerung zu erreichen. Der Dreh- und Angelpunkt ist – lassen Sie mich dies bitte deutlich sagen – der vereinfachte Erwerb der Staatsbürgerschaft vor allem durch Tolerierung der Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft. Dies bedeutet, wir sollten die doppelte Staatsbürgerschaft als eine neue Realität akzeptieren.
Aus Gründen der persönlichen Sozialisation und der hierauf beruhenden Identität und emotionalen Verbundenheit mit dem Herkunftsland wollen verständlicherweise viele Eingewanderte ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft nicht aufgeben. Die erzwungene Aufgabe ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft stellt für diese Menschen ein enormes Hindernis bei der Annahme einer neuen Staatsbürgerschaft und somit der gelungenen Integration in ihrer neuen Heimat dar. Dies belegen vom neuen die Untersuchungen. Es ist dringend geboten, die staats-bürgerrechtlichen Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Integrationspolitik zu schaffen: Die Migration nach Europa wird in den kommenden Jahrzehnten nicht ab- sondern weiter zunehmen – und zwar zu unser aller Nutzen! Ein modernes, mehrfache Staatsbürgerschaften tolerierendes Staatsangehörigkeitsrecht würde Intergration im Rahmen kultureller Vielfalt und Selbstbestimmung ermöglichen.
Mich würde an dieser Stelle interessieren, ob die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter die dargelegten Auffassungen zur Bedeutung der erleichterten und doppelten Staatsbürgerschaft teilen? Haben Sie eventuell in der Vergangenheit bereits Erfahrungen gesammelt oder Kampagnen durchgeführt, die auf diesen Punkt abzielen?
Ich möchte noch einmal an die Empfehlung Nummer 1500 der Parlamentarischen Versammlung erinnern, die klar benannt hat, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten ergreifen müssen, um die Partizipation der Migrantinnen und Migranten zu verbessern.
Die Migrantinnen und Migranten tragen ganz erheblich mit zum Wohlstand und zur kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaften mit bei. Diese Menschen müssen auch aus ethnisch- moralischen Gründen am politischen Prozess beteiligt werden! Vollständige Integration wird nicht erreicht ohne die vollständige politische Gleichstellung der Bevölkerung. Die parlamentarische Versammlung drückte ihre Sorge bereits 2001 klar und deutlich aus:
The Assembly is particularly concerned by the situation in some member countries of the Council of Europe, where the percentage of non-citizens in the population is high, and where no adequate structures or opportunities exist for their political participation. [Die Versammlung ist ganz besonders besorgt über die Situation in einigen Mitgliedsstaaten des Europarates, in denen der Anteil von Nicht-Staatsbürgern hoch ist und in denen keine adäquaten Strukturen und Möglichkeiten geschaffen wurden um ihre politische Partizipation zu gewährleisten.] |
Schon 2001 also lauteten zwei zentrale Forderungen der Empfehlung, dass die Mitgliedsstaaten erstens das passive und aktive Wahlrecht für alle Migranten ermöglichen und zweitens die Gewährung und Erlangung der Staatsbürgerschaft vereinfachen sollten! Mehr als sieben Jahre später ist dies nicht weniger aktuell, von den massiven Defiziten zeugen die bisherige Diskussion und der Bericht Herr Greenways selbst. Ich möchte daher insbesondere an die Vertreter der Nichtregierungsorganisation die Frage richten, wie sie sich effektive Kampagnen in dieser Richtung vorstellen und planen; wie wir Parlamentarier Sie dabei unterstützen können? Auf dass nicht noch einmal sieben Jahre verstreichen bis sich an der politischen Teilhabe etwas zum positiven verändert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!